Lettland und Russland - eine Hassliebe?

 

„Ach, Lettland, Litauen – das gehört doch bald eh alles zu Russland“ durfte ich mir von einem angetrunkenen Mitschüler kurz vor meiner Ausreise anhören. Ein Satz, der zwar nicht ganz ernst gemeint war, mich aber trotzdem beschäftigt hat. Denn Russland ist hier durchaus immer wieder Thema – ob direkt oder indirekt.

Zuallererst muss man wissen, dass es in Lettland eine große russische Minderheit gibt – etwa 30% der lettischen Bevölkerung sind Russen. Dies ist größtenteils auf die Besatzung Lettlands durch die Sowjetunion 1945-1990 zurückzuführen. In dieser Zeit wurden lettische Kultur und Sprache unterdrückt – gerieten jedoch aufgrund des großen Nationalstolzes zum Glück nicht verloren. Nach der wiedererlangten Unabhängigkeit Lettlands sah sich die Bevölkerung mit folgendem Problem konfrontiert: die Hälfte der Bevölkerung waren Russen, die kein Lettisch sprachen, wohingegen alle Letten Russisch sprachen. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken und eine Verdrängung des Lettischen zu verhindern wurden Schulen, Politik und öffentliches Leben nach und nach verändert und „lettisiert“. Die russische Minderheit begann zu sinken und Lettisch ist wieder die meistgesprochene Sprache im Land.

Trotzdem bleiben noch viele Spuren: Russisch wird in den älteren Generationen nicht als Fremdsprache angesehen und man findet in jedem Ort auch eine orthodoxe Kirche. Sprechen mich Passanten an, folgt auf mein „es nerunaju latviski“ (ich spreche kein Lettisch) meistens ein Schwall von Russisch. Dass es hier auf dem Land jemanden gibt, der keine der zwei Sprachen fließend beherrscht, ist aber zugegebenermaßen eine Kuriosität.

 

 

 

 

 

 

Russisch-orthodoxe Kirche in Riga - auch in jeder Provinzstadt findet sich eine solche (aber natürlich nicht so groß und prächtig wie in der Hauptstadt). 

Vor allem in großen Städten und hier im Osten leben sehr viele Russen bzw. Russischstämmige. So ist die Mehrheit der Einwohner von Lettlands zweitgrößter Stadt, Daugavpils, russischstämmig und wenn man mit dem lettischen „Labdien!“ einen Laden betritt, wird man schon einmal schief angeschaut. Auf der anderen Seite gibt es einige Letten, die sehr allergisch auf Russisch reagieren – und das zurecht, wenn man bedenkt, dass viele unter der Sowjetokkupation litten und sogar starben. So habe ich schon einige Male erlebt, wie sehr unfreundlich darauf reagiert wurde, wenn andere Freiwillige Passanten auf Russisch ansprachen.

Der Tag, an dem die Spannungen am deutlichsten werden, ist der 8.Mai. Russen feiern ihn als Tag ihres Sieges im Zweiten Weltkrieg und als ihre „Befreiung“ Lettlands. Die einheimische Bevölkerung sieht das selbstverständlich nicht so – für sie war das Ende der deutschen Besetzung schließlich der Beginn der sowjetischen. Sie wurden zwar vom Nazi-Regime befreit, ihre Befreier blieben jedoch ein paar Jahrzehnte zu lang. 

Der Staat Russland wirft Lettland die Diskriminierung der russischen Minderheit vor – da sich einige der Integration verweigern und weder einen russischen noch einen lettischen Pass besitzen, somit also als Staatenlose gelten. Seit der Krimkrise hat sich die Beziehung der zwei Länder weiter verschlechtert und die baltischen Staaten wollen sich durch die Stationierung von NATO-Soldaten gegen den übermächtigen Nachbar schützen.

Im Allgemeinen bleiben die Probleme und ethnische Spannungen jedoch im Verborgenen – es gibt sehr viele russisch-lettische Familien und auch das russische Essen hält öfters Einzug in lettischen Küchen. Dass die politischen Beziehungen so kalt sind, heißt nämlich in den allermeisten Fällen nicht, dass die Völker sich nicht freundlich gesinnt sind.

 

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